Perspektiven zur Sicherheitspolitik

F-35A

Der F-35A des amerikanischen Herstellers Lockheed Martin in Payerne. Bild (C): ZEM-VBS

04.04.2022 - Die Schweizer Denkfabrik Avenir Suisse hat am 25. März 2022 ihre Studie "Perspektiven der Schweizer Sicherheitspolitik" vorgestellt. Die Studie fordert von der Armee, sich bei den geplanten Erneuerungsinvestitionen am Boden konsequenter an den wahrscheinlichen Bedrohungsbildern orientieren.

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Wie viele in unserem Land wurde auch die Denkfabrik Avenir Suisse von der russischen Invasion in die Ukraine überrascht. Bereits vor über einem Jahr wurde mit der Studie «Perspektiven der Schweizer Sicherheitspolitik» begonnen. Vieles was in der Avenir Suisse-Studie geschrieben steht ist bekannt und in verschiedenen Berichten wiedergegeben worden. Rasch fokussiert sich die Studie auf die Armee, einem Mittel der schweizerischen Sicherheitspolitik.

Veränderte Sicherheitslage

Die Studie hält fest, dass die kriegerische Auseinandersetzung zwischen zwei Nationen eine Zäsur für die europäische Nachkriegsordnung darstellt. Die Autoren Lukas Rühli und Lisa Rogenmoser schreiben, dass sich die gesamteuropäische Sicherheitslage innert weniger Monate nachhaltig verändert hat und damit auch das sicherheitspolitische Umfeld der Schweiz.

Gleichzeitig hält die Studie fest, dass unser Land inmitten von Europa vom Schutzschirm der Nato und den sicherheitspolitischen Bemühungen der EU profitiert. Weiter schreibt die Autoren, dass aktuell weiterhin nicht damit zu rechnen sei, dass die Schweiz territorial direkt von den Geschehnissen in der Ukraine betroffen sein wird. Diese Einschätzung trifft als Sachverhalt zu, mutet aber angesichts der gegenwärtigen Lage etwas befremdlich an.  Die Schweiz ist zur Wahrung der völkerrechtlich immerwährenden bewaffneten Neutralität verpflichtet. Dies bedeutet, dass sich unser Land auch auf einen Verteidigungsfall ausrichten muss.

Fünf Thesen

In ihrem Perspektivenbericht stellt Avenir Suisse fünf Thesen und Empfehlungen auf:
• Die Schweiz sollte sich bei den geplanten Neu- und Erneuerungsinvestitionen am Boden konsequenter an den wahrscheinlichen Bedrohungsbildern orientieren. Leichte und mobile Mittel, um unkonventionellen Bedrohungen zu begegnen, dürfen nicht vernachlässigt werden.


• Die Kampfjets F-35A sind spezifisch für Einsätze in einem militärischen Verbund (der Nato) konzipiert. Um ihr Potenzial voll auszuschöpfen, ist die transnationale Militärkooperation auszubauen, beispielsweise durch die Teilnahme an Nato-Übungen. Es gilt daher, neutralitätspolitische Fragen zu klären.


• Die Schweizer Cybersicherheit muss erhöht werden – sowohl jene des Militärs als auch jene der kritischen Infrastrukturen. Bei der Abwehr von nicht kriegerischen Cyberangriffen ist die Armee weiterhin nur subsidiär einzusetzen. Für Betreiber kritischer Infrastrukturen sollte der Bund Systemredundanzen, Backup-Konzepte und Meldepflichten (bei Cyberattacken) vorschreiben.


• Allfällige Fähigkeitslücken, z.B. in den mechanisierten Verbänden, könnten durch stärkere transnationale militärische Kooperation kompensiert werden.


• Beim geplanten Fähigkeitsdialog mit dem Parlament sollte die Armee mehr Transparenz in der Lagebeurteilung schaffen und Bedrohungsszenarien so detailliert wie möglich darlegen.

Militärische Kooperationen

Was bei den von Avenir Suisse in der Studie geforderten vermehrten militärischen Kooperationen übersehen wird ist die Tatsache, dass die Kapazitäten der kooperierenden Streitkräfte irgendwann auch erschöpft sind.

Der Ukraine- Krieg zeigt die gewaltigen logistischen Truppenverschiebungen an die Nato- Ostflanke deutlich auf. Die USA tragen neben Kanada und Grossbritannien die Hauptlast. Unsere Nachbarländer Deutschland und Frankreich sind ebenfalls stark engagiert.

Bei allfälligen militärischen Kooperationen müssten die Armee die Fähigkeit haben sowohl für einen Einsatz im Inland die militärischen Mittel bereitzuhalten, als auch für einen Einsatz im Ausland.

Pragmatischer Umgang mit der Neutralität

Die Schweiz müsste, um einen sinnvollen, lange andauernden multinationalen Einsatz zu bewältigen, ihre Bestände erhöhen. Und damit eines klar ist: Eine militärische Kooperation mit allen Konsequenzen würde sich nicht nur auf Übungen auf ausländischen Truppenübungsplätzen beschränken. Im äussersten Fall würde dies einen Kriegseinsatz unter fremdem Kommando in einem fremden Land bedeuten.

Neutralitätsrechtlich ist es der Schweiz gemäss Haager Abkommen von 1907 untersagt, an internationalen bewaffneten Konflikt teilzunehmen. Ein "pragmatischer Umgang mit der Neutralität" wie sie Avenir Suisse in ihrer Studie vorschlägt würde politisch nicht in Frage kommen und würde wohl auch einer noch so wohlwollender und pragmatischer Gesamtbetrachtung kaum standhalten können.

Gesamtsystem Armee

Die Schweizer Armee wird gegenwärtig im Rahmen der Weiterentwicklung der Armee WEA zu einem Gesamtsystem Armee transferiert. Dies bedeutet langfristige Investitionsvorhaben in alle Systeme der entsprechenden Operationssphären. Der Bericht geht wohl auf die einzelnen Operationssphären Boden, Luft, Cyber- und Informationsraum ein, jedoch fehlt hier eine Gesamtbetrachtung über die zukünftigen Fähigkeiten des Gesamtsystems Armee.

Zu Versorgungssicherheit, Energie- und Stromversorgung oder dem nationalen und internationalen Krisenmanagement der Bundesverwaltung und Landesregierung macht die Studie leider keine Aussagen. Diese Themen gehören ebenso zur Sicherheitspolitik. /ahe


Link zur Studie:

https://www.avenir-suisse.ch/publication/perspektiven-der-schweizer-sicherheitspolitik/

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